Regressrisiko bei Verordnung neuer Arzneimittel: KBV fordert gesetzliche Klarstellung
Die Erstattungspreise, die der GKV-Spitzenverband und Pharmaunternehmen im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens für neue Arzneimittel vereinbaren, sollen über das gesamte zugelassene Anwendungsgebiet eines Wirkstoffs als wirtschaftlich gelten – und zwar auch in Fällen, in denen Ärzte Arzneimittel für Patientengruppen verordnen, denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen bescheinigt hat. Das hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) heute in Berlin gefordert und eine gesetzliche Klarstellung vorgeschlagen.
Die KBV will ihre Forderung heute Abend bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss zum Entwurf eines Blut- und Gewebegesetzes vortragen. Würde der Vorschlag zu einer entsprechenden Änderung des Paragrafen 130b Absatz 1a SGB V an das laufende Gesetzgebungsverfahren angehängt, könnte er noch in dieser Legislaturperiode ins Parlament eingebracht werden.
Hintergrund des Vorstoßes der KBV ist ein Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 1. März. Die Richter hatten in einem Eilverfahren entschieden, dass sich Vertragsärzte unwirtschaftlich verhalten, wenn sie ein Arzneimittel für Patientengruppen verordnen, für die der G-BA keinen Zusatznutzen festgestellt hat, und dieses Präparat teurer ist als die Standardtherapie. Aus dem Erstattungsbetrag darf nach Ansicht des Gerichts nicht auf die Wirtschaftlichkeit einer Verordnung in allen Anwendungsgebieten geschlossen werden (Az.: L9 KR 437/16 KL ER).
Geklagt hatte der GKV-Spitzenverband gegen die Festsetzung eines Erstattungsbetrags für Albiglutid zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Dabei hatte das Schiedsamt einen Mischpreis gebildet, der die Verordnung des Wirkstoffs für Patientengruppen mit und ohne Zusatznutzen berücksichtigte.
Zusatznutzen wird zum Kriterium für Wirtschaftlichkeit
Nach Ansicht der KBV führt der Beschluss des LSG zu erheblicher Verordnungsunsicherheit bei Vertragsärzten und Risiken für die Versorgung der Patienten. Der Zusatznutzen werde zu einem Prüfkriterium der Krankenkassen für die Wirtschaftlichkeit einer Verordnung und damit faktisch zu einem Verordnungsausschluss bei Patientengruppen ohne Zusatznutzen führen, obwohl eine Verordnung medizinisch sinnvoll sein könne, erläuterte KBV-Dezernentin Sibylle Steiner. Häufig werde kein Zusatznutzen festgestellt, weil Studiendaten fehlten. In diesen Fällen führe der LSG-Beschluss dazu, dass Patientengruppen vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen würden. Außerdem seien Patienten in der Praxis nicht immer eindeutig einer Patientengruppe aus klinischen Studien zuzuordnen.
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